Daniel: Hallo und guten Tag! Mario Gerth und ich sind gemeinsam mit Werner Althaus in seinem Büro in der Wilhelmstraße in Fulda. Wir freuen uns sehr, dieses Gespräch mit Dir führen zu dürfen, Werner.
Werner: Hallo, ich freue mich ebenfalls.
Mario: Herr Althaus, wie sind Sie zur Caritas gekommen?
Werner: Ich habe nach dem Studium das Anerkennungsjahr hier bei der Caritas gemacht, ein Jahr lang als Diplom- Sozialarbeiter. Und danach bin ich hier hängengeblieben.
Daniel: Wie lange ist das her? Wie lange bist du schon bei der Caritas?
Werner: Das Anerkennungsjahr habe ich 1985 gemacht. 1986 habe ich dann den Arbeitsvertrag hier bekommen als Diplom-Sozialarbeiter für die Sozial- und Lebensberatung und für die Gehörlosenarbeit. Aus der hat sich dann später der Sozialdienst für Gehörlose entwickelt. Also… seit mehr als 38 Jahren bin ich bei der Caritas.
Mario: Was sind Ihre Hauptaufgaben?
Werner Althaus zeigt ‚W´
Werner: Beratung. (lacht) Mario: Was für Leute kommen da zu Ihnen?
Werner: In die Beratung kommen im Wesentlichen Menschen die taub oder schwerhörig sind, und deren Angehörige. Früher kamen auch oft Arbeitgeber oder Arbeitskollegen von Menschen die taub sind.
Mario: Und sie können Gebärdensprache?
Werner: Ja, das ist richtig. Die musste ich für den Sozialdienst für Gehörlose lernen. Und…. ich habe es auch ganz gut
hingekriegt… (lacht)
Mario Gerth zeigt ‚M‘
Mario: Es gibt ja auch die Gebärdenplakate. Da war ich auch schon mit drauf. Ein paar Gebärden kann ich auch. Ich finde das sehr
interessant.
Werner: Was können Sie für Wörter?
Mario: (zeigt die Gebärde für ‚Familie‘)
Werner: Familie. Fantastisch.
Mario Gerth zeigt ‚Familie‘
Mario: Und das hier heißt Oma. (Zeigt die Gebärde für ‚Oma‘.)
Werner: Genau. Das ist der Dutt von der Oma.
Daniel: Wir machen dieses Jahr mit Wortlos ein neues Gebärdenplakat zum Thema Erste Hilfe. Das war der Wunsch von Vielen. Zurzeit sind wir gerade am Schauen, welche Begriffe auf ein Erste-Hilfe-Plakat drauf müssen. Eine spannende Gebärde, die ich gestern gelernt habe, ist: Unfall. Das ist ja auch so eine ganz intuitive Gebärde.
Es gibt viele interessante Gebärden, die sich eigentlich selbst erklären, die man gar nicht lernen muss, die jeder verstehen kann.
Mario: Bei der Ersten Hilfe ist es auch sehr wichtig, dass man einen Notruf absetzt.
Daniel: Also der Begriff ‚Notruf‘ ist auch wichtig für das Plakat.
Werner: Verletzung, bluten, hingefallen….
Mario: Was ist passiert.
Daniel: Genau. Die W-Fragewörter. Was, wo, wie viele, wer…
Mario: Ja, genau.
Werner: Was natürlich auch eine Herausforderung ist: wenn ich keine Sprache habe, wie setze ich dann einen Notruf ab? Ich kann nicht anrufen. Aus verschiedenen Grünen. Was mache ich?
Daniel: Was könnte man tun?
Mario: Jemanden zu Hilfe holen, der sprechen kann, zum Beispiel.
Werner: Ja, das wäre eine Möglichkeit.
Daniel: Kann man die Feuerwehr auch per Whatsapp erreichen?
Werner: Es gibt eine spezielle App für Gehörlose oder andere beeinträchtigte Menschen. Die heißt "Nora". Sie soll die Verbindung von nichtsprechenden Menschen zur Rettungsleitstelle sicherstellen. Damit sollte man sich beschäftigen und darüber informieren. Früher haben Gehörlose für solche Sachen tatsächlich Fax benutzt. Letztens wurde ich deswegen ganz erschrocken angeschaut. Aber tatsächlich war das Fax die beste Kontaktmöglichkeit zur Rettungsleitstelle, wenn man UNFALL nicht telefonieren konnte. Aber die meisten Menschen haben kein Faxgerät.
Daniel: Viele wissen vielleicht gar nicht mehr, was Fax ist.
Werner: Es ist eine inzwischen veraltete Technik. Aber sie hat hier in Fulda schon zwei Mal Leben gerettet. Heute haben auch Gehörlosen keine Faxgeräte mehr. Was aber schade ist.
Mario: Was sind denn Ihre Lieblingsaufgaben bei der Arbeit? Was machen Sie gerne?
Werner: Mit Menschen zusammen sein und gute Gespräche führen. Und Kaffee trinken (lacht). Damit meine ich auch unseren Gehörlosen-Treff mittwochs einmal im Monat. Hier treffen sich viele Gehörlose aus Fulda und reden miteinander in ihrer Sprache. In der Gebärdensprache.
Mario: Wird dort nur Gebärdensprache gesprochen oder auch Lautsprache?
Werner: Da reden wir ausschließlich in Gebärdensprache. Manche können auch nur das. Andere wiederrum können auch mehr oder weniger Lautsprache. Aber hier beim Gehörlosentreff sind alle gleich und reden nur Gebärdensprache.
Mario: Wenn man nicht hören kann, kann man auch keine Lautsprache lernen.
Werner: Genau. Man kann sich nicht selber hören, sich also nicht kontrollieren oder überprüfen. Je nachdem wie sie beschult worden sind, bedeutet das, dass manche einige Worte sprechen können. Manche sprechen undeutlich, manchmal muss man sich "einhören" und mit der Zeit versteht man es dann. Aber es gibt auch eine große Gruppe von Leuten, die die Sprache bewusst verweigern. Die wollen ausschließlich Gebärdensprache verwenden und sagen: "Ich spreche nicht mit Lautsprache!" Weil es für sie unnatürlich ist. Sie sagen: "Meine Sprache ist die Gebärdensprache!"
Mario: In der Werkstatt haben wir auch eine Frau, die taub ist und die nur Gebärdensprache spricht. Sie kann keine Wörter mit Lautsprache formulieren. Manchmal benutzt sie Bilder und manchmal Gebärden. Der Gruppenleiter in der Werkstatt zeigt ihr mit Bildern, was ihre Arbeit ist.
Werner: Ich kenne auch einen tauben Sozialpädagogen, der zu der Gruppe der Sprachverweigerer gehört. Er sagte mir, dass er so viele negative Erfahrungen gemacht habe, deswegen wie er spricht, dass er irgendwann aufgehört hat zu sprechen. Wenn man zum Beispiel undeutlich spricht und dann wird man von Hörenden dreimal dasselbe gefragt, fängt es an, dass man unruhig wird, weil man nicht verstanden wird. Und das hat sich irgendwann in Aggression umgewandelt. Nicht mehr verstanden zu werden hat bei ihm dazu geführt, dass er gesagt hat: "Ich rede nur noch in Gebärdensprache. Wer mit mir kommunizieren möchte, muss das mit einem Dolmetscher tun." Das ist natürlich eine radikale Sicht. Wir haben auch lange darüber gesprochen. Aber ich kann es auch völlig nachvollziehen.
Daniel: Wie würde er das denn finden, wenn ich Dinge auf einen Zettel schreibe und versuchen würde, auf diese Art mit ihm zu kommunizieren?
Werner: (schüttelt den Kopf)
Daniel: Okay. Auch das möchte er nicht?
Werner: Es gibt Menschen in allen Bereichen, zum Beispiel im Feminismus oder in der Politik, die haben radikale Ansichten. Und auch das hier ist eine radikale Ansicht. Die ist weder falsch noch richtig. Man kann darüber sprechen, aber letztlich ist derjenige, die die Gebärdensprache nutzt, derjenige der dann auch vorgibt, wie er kommunizieren möchte.
Daniel: Das geben die Menschen, die mit ‚gesprochener Sprache‘ sprechen, ja genauso vor.
Werner: Richtig.
Mario: Das muss man akzeptieren, wenn der Betreffende das so will.
Werner: Genau. Wenn man es nicht akzeptieren würde, hätte man dann keine Kommunikation.
Mario: Jetzt noch einmal etwas ganz anderes. Was sind denn Ihre Hobbies?
Werner: Mediävistik.
Mario: Was ist denn das?!
Werner: Alles was mit Mittelalter zu tun hat. Literatur, Geschichte…Mario: Oh, das ist ja interessant. Geschichte war mein Lieblingsfach in der
Schule. Auch vorwiegend die deutsche Geschichte. So ab 1870 bis heute.
Daniel: Und Mediävistik ist die Wissenschaft vom Mittelalter?
Werner: Genau. Sowohl die Literatur als auch die Technik als auch das Leben - das man ja auch nachstellen kann, in alten Gewändern… also wenn wir uns jetzt zu Hause in meinem Zimmer unterhalten würden…
Daniel: … dann hättest Du eine Ritterrüstung an…?!
Werner: (lacht) Das nicht. Dafür reicht mein Geld nicht. Weil so etwas schon sehr, sehr teuer ist. Aber Ihr würdet Schwerter, Äxte und so etwas sehen.
(Daniel und Mario staunen. Werner lacht.)
Werner: Wusstet Ihr gar nicht, was?
Daniel und Mario: Nein…
Mario: Ich habe mich auch mit der Kirche beschäftigt und habe Fahrten mitgemacht und war ‚auf den Spuren von Luther‘. Ich bin ja evangelisch.
Werner: Ist nicht schlimm. (alle lachen)
Mario: Ich bin auch sehr engagiert in der Kirche. Die Unterschiede in der katholischen und evangelischen Messe finde ich auch interessant. Aber wir haben den gleichen Gott. Jedenfalls… wir schweifen jetzt ab… Haben Sie noch andere Hobbies außer der Mediävistik?
Werner: (überlegt) Was ist "Hobby"… muss man da etwas aktiv tun oder reicht es, wenn ich einfach nur Fußball gucke?
Daniel: Fußball gucken ist auch ein Hobby. Also ich sehe das so.
Werner: Ich muss also nicht hinter dem Ball herlaufen? Gut. Also Fußballgucken ist sicherlich auch eine schöne Sache, mit der ich mich beschäftige und wo ich mich total freue, dass Bayern München dieses Jahr nicht Meister ist. (grinst)
Daniel: Bist Du Fan von einem Fußballverein?
Werner: Also… früher hatte ich mal eine Fahne hier in meinem Büro von Darmstadt. Die sich jetzt natürlich gerade schon wieder auf die Zweite Liga vorbereiten. Das heißt aber nicht, dass ich mit Schal und all diesen Dingen herumlaufe. Ansonsten lese ich viel…
Mario: Ich bin großer Bayern München-Fan.
Werner: Da kann man ja auch nichts dafür…(Alle lachen.)
Mario: Ich war auch schon mal im Stadion.
Daniel: Also ich bin Eintracht-Fan.
Mario: Mein Vater hat sich immer gefreut, wenn Bayern verloren hat. Der war kein Bayern-Fan. Naja. Fußball mögen Sie also auf jeden Fall?
Werner: Ja, und Lesen auch.
Daniel: Lesen passt ja auch zu Mediävistik. Aber was mich auch noch interessiert und was ich unbedingt noch fragen will: Wie bist Du zu dem Thema Gebärdensprache gekommen? Was hat Dich dazu bewogen, Gebärdensprache zu lernen?
Werner: Diplom-Gebärden-Meister-Doktor. (lacht) Ich war jung und brauchte das Geld. (alle lachen) Aber im Ernst: nach dem Anerkennungsjahr habe ich hier in der Allgemeinen Sozial- und Lebensberatung angefangen. Da gehörte ein ganz kleiner Teil, vielleicht fünf Stunden in der Woche, Beratung für Gehörlose dazu. Da hatte ich dann mit meinem damaligen Chef gesprochen und gesagt: "Ich habe keine Ahnung davon, aber ich wäre bereit, es zu versuchen, ich müsste ja auch erst einmal eine Einführung oder Ausbildung machen. Ich weiß auch nicht, ob mir das wirklich liegt." Ich bin rückblickend meinem Chef sehr dankbar, weil er gesagt hat: "Du kriegst die Ausbildung. Versuche es, nimmt Kontakt auf. Und wenn Du feststellst, dass es nicht geht, dann finden wir eine andere Möglichkeit." Ich hatte also eine gewisse Freiheit, etwas auszuprobieren und mittendrin vielleicht sagen zu können, das schaffe ich überhaupt nicht. Und das war sehr erleichternd für mich.
Daniel: Das klingt wirklich toll.
Werner: Ja, das fand ich wirklich toll. Ich war nicht festgelegt, ich war ganz frei und konnte ausprobieren. Dann habe ich die Ausbildung gemacht und den Kontakt gesucht zu den gehörlosen Leuten…
Daniel: Also Du hast dann eine Ausbildung zum Gebärdendolmetscher gemacht?
Werner: Also ich bin kein Gebärdendolmetscher. Das ist eine zertifizierte Ausbildung. Aber ich habe Gebärdensprache gelernt und ich bin auch von der Ausbildung her Gehörlosenseelsorger. Auf dem Schild und auf meiner Visitenkarte steht auch: Beratung in Gebärdensprache. Jedenfalls habe ich damals dann festgestellt, dass ich mit den gehörlosen Leuten gut zurechtkomme…
Daniel: … Und die Leute haben auch festgestellt, dass sie auch gut mit Dir zurechtkommen…
Werner: … Das ist das Problem… (lacht) Sie waren froh, dass sie endlich einen Sozialarbeiter für ihre Belange hatten. Da haben sie nicht auf meine stümperhaften Gebärden geachtet sondern die Freude darüber, dass da jetzt endlich jemand ist, hat überwogen. In Wirklichkeit waren das furchtbare Gebärden. Nach zwei Jahren hatte mir dann endlich ein Gehörloser, der mittlerweile gestorben ist, die Wahrheit gesagt. Die war ernüchternd und furchtbar. Aber das war auch gut, weil das einen neuen Schub zum Lernen gegeben hat. Vorher dachte ich meinem Überschwang, ich sei ein Naturtalent. Aber in Wirklichkeit müssen meine Gebärden anfangs gruselig gewesen sein.
Daniel: Du hattest auch nicht so viele Vergleiche. Deine Klienten waren eher darauf konzentriert, dass ihre Anliegen bearbeitet werden und deine Gebärden waren auf andere Art für sie wichtig.
Werner: Ja, das stimmt.
Mario: Waren da nur Gehörlose? Es gibt ja auch taub-blinde Menschen.
Daniel: Es gibt ja auch eine Blindenschrift. Und es gibt auch ein Sprachsystem für taub-blinde Menschen.
Werner: Das nennt man ‚Lormen‘, genau. Wir hatten bei der Caritas früher ein Taub-Blinden-Heim. In Hilders. Das gibt es in der Form nicht mehr. Das Taub-Blinden-Heim ist umgezogen und hat jetzt aber eine ganz andere Ausrichtung und heißt jetzt Haus Luzia.
Mario: Neben unserer Werkstatt.
Werner: Genau. Das war ursprünglich ein Taub-Blinden-Heim und ist jetzt ein Wohnpflegeheim für Menschen mit Behinderung.
Daniel: Und es gibt dort auch die Tagesstätte für Menschen mit erworbener Hirnschädigung. Die gehört zur Werkstatt.
Werner: Im Taub-Blinden-Heim war ich früher öfter zu Besuch und da waren blinde, gehörlose und taub-blinde Menschen.
Mario: Ich stelle es mit furchtbar vor, taub und blind zu sein.
Werner: Das ist eine gruselige Vorstellung, ja. Es gab eine taub-blinde Frau, die schon verstorben ist, der in einem Interview eine Frage gestellt wurde: Was ist schlimmer? Blind sein? Oder taub sein? Man kann das natürlich nur jemanden fragen, der beides kennt.
Mario: Wenn man blind auf die Welt gekommen ist, dann ist es auch anders, als wenn man irgendwann im Leben blind geworden ist. Wenn man blind auf die Welt
gekommen ist, kann man sich zum Beispiel unter der Farbe blau nichts vorstellen.
Werner: Aber was denken Sie - was wäre für Sie schlimmer? Blind oder taub?
Mario: Beides. Mh…. Wenn man hören kann, kann man Musik hören, Emotionen rauslassen.
Werner: Musik ist wichtig für Sie?
Mario: Ja! Meistens ruhige Musik. Das ist mir wichtig. Wenn ich blind wäre, könnte ich trotzdem noch Musik hören. Vielleicht könnte ich sogar noch besser hören.
Werner: Was glauben Sie, hat die Frau, von der ich eben erzählt habe, gesagt? Sie heißt übrigens Helen Keller.
Mario: Helen Keller kenne ich. Sie ist als Kind krank geworden und dann wurde sie blind und taub.
Werner: Genau. Darüber gibt es auch einen Film. Sie hat auf die Frage, was schlimmer sei, taub oder blind zu sein, geantwortet: "Blindheit trennt mich von den Dingen. Taubheit trennt mich von den Menschen."
Also so wie Sie gesagt haben: Kommunikation, Emotion… das alles ist nicht mehr da.
Mario: Sie hatte auch eine bestimmte Schrift oder Sprache?
Werner: Ja, sie hatte bis zu ihrem Tod eine Privatlehrerin gehabt, die hieß Anne Sullivan. Sie hatten eine besondere Art der Kommunikation. Zum einen das Lormen,
also das Tippen in die Handfläche, aber was noch viel interessanter ist, und was ich jetzt auch bei einem taub-blinden Diakon gesehen habe, sind taktile Gebärden. Das heißt, der eine gebärdet und der andere hat die Hand auf der Gebärdenhand. Also, wenn ich zum Beispiel das Wort ‚Familie‘ gebärde, dann hätte jetzt der Daniel seine Hand auf meiner Hand und würde die Bewegung und die Fingerstellung ertasten.
Mario: Helen Keller ist auch viel gereist, glaube ich.
Werner: Ja, das stimmt. Sie war unter anderem bei John F. Kennedy
Mario: Das habe ich in ihrem Buch gelesen. Das ist beeindruckend.
Daniel: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen, denen man die Frage stellt, ob sie Blindsein oder Taubsein schlimmer fänden, antworten: Blindsein.
Ich für mich denke aber, dass ich es schlimmer finden würde, taub zu sein. Nichts mehr zu hören. Weil ich von der Kommunikation abgeschnitten wäre, von den Menschen. Wenn ich nichts mehr sehe, kann ich trotzdem noch Gefühle äußern und das mit Menschen teilen. Es ist aber sicherlich auch noch ein Unterschied,
ob es sich um etwas Angeborenes oder um etwas Erworbenes handelt.
Werner: Bei beiden Dingen ist das ein wichtiger Aspekt. Ich kenne einen sehr interessanten tauben Mann, der im Alter von sieben Jahren ertaubt ist und bis zu seinem 95. Lebensjahr darunter gelitten hat und nie den Frieden für sich mit seiner Taubheit finden konnte. Er hat sich zum Beispiel oft geärgert, dass er nicht telefonieren konnte, dass er dies nicht könnte und jenes nicht. "Ich könnte mein Leben so schön gestalten, wenn ich nicht all diese Probleme hätte", hat er immer gesagt.
Mario: Ich habe noch eine ganz andere Frage. Wohin fahren Sie gerne in den Urlaub?
Werner: Also ab 1. April bin ich ja Rentner…
Mario: Da haben Sie dann ja sehr viel Zeit…
Werner: (lacht) … Ja. Ich finde meine Arbeit so interessant, dass ich weiterhin einmal in der Woche hier im Sozialdienst für Gehörlose arbeite. Trotzdem bleibt dann ja noch viel Freizeit und ich bin ein Freund von allem Schottischem, Irischem und Englischem. Deswegen fahre ich dieses Jahr nach Nordirland. Und dann fahre ich noch nach London und auch nach Flandern. Das hat auch mit dem Mittelalter-Thema zu tun. Jedenfalls… Schottland, Irland… das sind meine Länder, in denen ich mich sehr wohl fühle, in denen ich aber auch immer eine Regenjacke brauche.
Mario: Haben Sie Enkelkinder?
Werner: Ja. Fünf.
Mario: Und Sie fahren mit Ihrer Frau in den Urlaub?
Werner: Ja. Bloß nicht mit den Kindern. (lacht)
Daniel: (lacht) Da hätte dann niemand etwas davon.
Mario: Viele Leute sagen, dass man als Rentner viel Zeit hat.
Werner: Ja… das höre ich auch immer wieder. Aber es ist ja auch eine Frage, wie man mit seiner eigenen Zeit umgeht. Wie man sie gestaltet.
Mario: Die Enkel kommen jedenfalls bestimmt gerne zum Opa.
Werner: Ja, das ist keine Frage. Aber ich lasse mir meine Zeit sehr ungern von anderen einteilen. Meine Tochter meinte: "Wenn Du Rentner bist, dann kannst Du
ja…" - und sie hat eine Reihe von Tätigkeiten aufgezählt, die mit den Enkelkindern zu tun haben, und dann habe ich gesagt: "Ich habe meine Enkelkinder sehr gern. Aber nicht jeden Tag."
Daniel: Mir geht es bei der Arbeit auch oft so. Die Woche ist komplett strukturiert mit Terminen und die anderen Menschen verlassen sich ja auch auf darauf, dass ich
pünktlich zu einem Termin komme. Aber am Wochenende und im Urlaub bin ich ganz froh, wenn ich keinen Termin habe. Samstags ausschlafen und in den Tag
reinleben. Das ist auch schön.
Werner: Das ist sehr wichtig für jeden selbst.
Daniel: Noch eine allerletzte Frage stelle ich. Was verbindest Du mit UK? Was kommt Dir da spontan in den Kopf? Das ist jetzt der Werbeblock…
Werner: Der muss auch kommen, das ist eine wichtige Frage. UK ist all das, was das Leben von Menschen, die sich sprachlich nicht oder nur eingeschränkt äußern können, erleichtern soll und muss. Ich bin ja schon viele Jahre auch mit UK beschäftigt und manchmal wirkt für uns das dann alles schon selbstverständlich. Aber UK bietet vielen Menschen Chancen zu kommunizieren, die das ohne UK nicht so gut könnten. Und das ermöglicht ein besseres Leben.
Daniel: Jetzt haben wir viel über Gebärden und über die Arbeit und über Menschen gesprochen, und eigentlich haben wir die ganze Zeit damit ja auch über UK, über
Kommunikation gesprochen. Wir haben überlegt: Wie kommunizieren Menschen miteinander, wie kommen wir miteinander klar, wie wollen wir miteinander leben. Das
ist UK.
Werner: Genau.
Daniel: Gut, dann sagen wir Dir vielen herzlichen Dank, Werner, für dieses tolle Gespräch.
Mario: Vielen Dank! Und wir wünschen Ihnen alles Gute für die kommende Zeit.
Werner: Ich bedanke mich ebenfalls!