Frage: Herr Althaus, was bedeutet es für einen Menschen, gehörlos zu sein? Gleich die schwerste Frage am Anfang! Zu beantworten ist diese Frage eigentlich nur von einem Betroffenen selbst. Es gibt aber ganz unterschiedliche Zugänge zu diesem Fragekomplex. Ein Mensch der von Geburt an taub – wir sprechen dann im Regelfall von „gehörlos“ – ist, empfindet die Gehörlosigkeit anders, als ein Mensch der später, z.B. im Alter von 30 oder 40 Jahren, ertaubt. Ein altersertaubter Mensch mit z.B. 70 Jahren hat wiederum eine ganz andere Grundproblematik, die es zu berücksichtigen gilt. Wenn man zunächst gehört hat und dann in diese unendliche Stille „abtaucht“, geht man mit dem Verlust anders um, als wenn man das Hören erst gar nicht kannengelernt hat. Für hörende Familien mit einem gehörlosen Familienmitglied ist die Situation ebenfalls nicht einfach. Wir sprechen von Familien mit unterschiedlichem Hörstatus, in denen neben möglichen familiären Problemen, dann auch noch die Kommunikationsproblematik eine große Rolle spielt. Besonders schwierig ist oftmals die Lebenssituation von schwerhörigen Menschen, die quasi „zwischen den Stühlen“ sitzen. Sie haben schwierige Kommunikationsbedingungen sowohl in der „hörenden“, als auch in der „gehörlosen“ Welt. Sie sehen, dass die Gehörlosigkeit die gesamte Lebenswelt vereinnahmt. Oft werde ich dann gefragt, was denn schlimmer sei; blind oder gehörlos. Es ist selbstverständlich klar, dass man unterschiedliche Handicaps nicht miteiner vergleichen oder in Bezug setzten kann, aber eine amerikanische taubblinde Frau, Helen Keller hat es auf den Punkt gebracht: Blindheit trennt mich von den Dingen.
Taubheit trennt mich von den Menschen. |
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Ertaube oder gehörlose Menschen haben je nach Begabung (der eigenen und die des Lehrers) Grundlagen der Lautsprache in der Schule gelernt. Allerdings können sie sich selbst nicht hören und dementsprechend korrigieren. Für Hörende klingt dann die Aussprache oftmals unartikuliert und unangemessen laut oder leise. Auch gibt es in diesem Zusammenhang zwei falsche Vorstellungen, die ich an dieser Stelle berichtigen kann.
1. Gehörlose können vom Mund ablesen.
2. Gehörlose können Lesen.
Wichtig ist mir aber der Hinweis, dass es selbstverständlich nicht „den Gehörlosen“, sondern unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Begabungen gibt. Ich kenne Gehörlose, die (z.B. nach einem erfolgreichen Studium) sehr viel Kommunikation mit Hörenden haben, ich kenne Gehörlose, die nicht in Lautsprache kommunizieren (wollen), ich kenne auch Gehörlose, die von anderen Hörenden nicht verstanden werden. Gehörlose möchten auch nicht über Ihre Gehörlosigkeit, sondern über Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten definiert werden. |
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Um diese Frage zu beantworten, möchte ich vorher kurz über die Entstehung der Gebärdensprache, um dann zu ihrer Systematik zu kommen. Schon immer haben Gehörlose untereinander Gebärden benutzt. In der Zeit der Aufklärung, sollten dann Gehörlose sprechen lernen. Der französische Priester Michel de l´ Epée hat aber zunächst nach der Struktur der Gebärden gefragt, Gehörlose beobachtet, von ihnen gelernt und dann die Sprache systematisiert. Leider wurden dann 1880 Gebärden im Schulunterricht (teilweise noch bis heute!!!) verboten. Mit der Anerkennung der Gebärdensprache als vollständige Sprache, wird sie heute auch teilweise im Unterricht für gehörlose Schüler und Schülerinnen verwendet. Besagter Michel de l´ Epée hat zunächst ein Fingeralphabet entwickelt, dass in Abänderungen heute als internationales Fingeralphabet bekannt ist. Dieses Fingeralphabet, bei dem jeder Buchstabe eine besondere Fingerstellung einer Hand hat, wird ausschließlich für Fremdwörter und Eigennamen, für die es (noch) keine Gebärde gibt, benutzt. Dieses Fingeralphabet steht auch immer am Anfang meiner Kurse und ist verblüffend schnell gelernt.
Bei den Gebärden unterscheidet man zwischen Lautsprachbegleitenden Gebärden und der Deutschen Gebärdensprache. Die Deutsche Gebärdensprache ist eine vollwertige Sprache mit eigener Grammatik und Syntax, in der auch ganze Phrasen als eine Gebärde zusammengefasst sein können. Die Lautprachtbegleitenden Gebärden sind eine Visualisierung der gesprochen deutschen Sprache, also ein Zeichen für (fast) jedes Wort. Schwerhörigen und mehrfachbehinderten Menschen ist mit dieser Form oftmals sehr geholfen. Im Kurs der Caritas Fulda werden lautsprachbegleitende Gebärden gelernt. Frage: Nehmen wir an, ein spät ertaubter Mensch möchte das Gebärden lernen. Wie lange benötigt er, um sich mit anderen verständigen zu können? Gegenfrage: Wie lange brauchen Sie um spanisch zu lernen? Sie sehen, die Antwort ist sehr individuell. Das heißt es gibt keinen festgelegten Zeitrahmen; der eine hat einen leichten Zugang zu dieser dreidimensionalen Sprache, der andere müht sich länger damit ab. Nach unserem Kurs (8 dreistündige Einheiten) ist man aber bereits schon in der Lage sich vorzustellen, einen einfachen Zusammenhang aus einem unbekannten Text zu gebärden und zu verstehen und mindestens ein Gedicht aufsagen zu können. Frage: Wie soll ein Hörender mit einem tauben Menschen sprechen?
Sowohl für hörende, als auch für gehörlose Menschen gibt es einige einfache Grundregeln, die eine Kommunikation wesentlich erleichtern. Was können Gehörlose tun?
Ja! Alles Neue bereichert! Wichtig ist es nach unserer Auffassung selbstverständlich für hörende Verwandte einer gehörlosen Person, für hörende Arbeitskollegen, für hörende Freunde, eigentlich für alle, die Begegnung mit gehörlosen Menschen haben. Mitarbeiter der Caritas, die punktuell mit gehörlosen zu tun haben sollten ebenfalls Grundkenntnisse besitzen. Für alle weitergehenden, speziellen Fragen haben wir ja den Sozialdienst für Gehörlose im Caritasverband für Stadt und Landkreis Fulda e.V. In unseren Kursen haben wir immer wieder eine bunte Mischung von Professionen und Motivationen, die für alle Teilnehmer ausgesprochen bereichernd ist.
Bevor ich diese Frage beantworte sei mir eine Vorbemerkung gestattet. Der Caritasverband ist der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche. Daher legen wir großen Wert auf eine Vernetzung mit der Seelsorge. In der Person des Diözesan-Gehörlosenseelsorgers Msgr. Michael von Lüninck haben wir einen vertrauensvollen Partner für die Gehörlosenarbeit. Unsere Zusammenarbeit sowohl in den Belangen der Seelsorge, als auch in denen der Sozialarbeit möchte ich als vorbildlich beschreiben. So bin ich bei den meisten Gottesdiensten und Vereinstreffen häufig neben- oder ehrenamtlich engagiert und in Msgr. von Lüninck finde ich bei sozialen Problemen unserer Adressaten immer ein offenes Ohr und helfende Hände. Für die Betroffenen – auch wenn die Gehörlosengemeinde sehr klein ist – ist ein Seelsorger, der ihre Sprache gebärden kann, äußerst wichtig. Msgr. von Lüninck ist 70 Jahre alt und wird ab diesen Sommer in Ruhestand gehen, wobei er in der Gehörlosenseelsorge weiterhin tätig sein wird. Doch auf absehbare Zeit ist es dringend erforderlich, dass die Bistumsleitung eine geeignete Person für die katholische Gehörlosenseelsorge sucht und befähigt. Auch dabei gilt meine uneingeschränkte Unterstützung. Neben dieser offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit haben wir uns in den letzten Jahren immer intensiver der ökumenischen Arbeit verpflichtet. So führen wir gemeinsame Veranstaltungen mit der evangelischen Gehörloseseelsorgerin Frau Pfarrerin Merle Blum und ihrer Gehörlosengemeinde durch. Aber nun zu der eigentlichen Frage, wem der Caritas-Sozialdienst für Gehörlose, Hörgeschädigte und deren Angehörige helfen kann und was unsere Angebote sind. Unser Dienst ist die Antwort der verbandlichen Caritas auf die besonderen Lebensumstände gehörloser und hörgeschädigter Menschen. Innerhalb des Gesamtangebotes der ambulanten Hilfen sind wir die einzige Beratungsstelle für gehörlose, schwerhörige und ertaubte Menschen und ihren Familienmitgliedern. Andere Beratungsstellen und Hilfsangebote sind wie auch viele gesellschaftliche und kirchliche Einrichtungen vor allem an den Bedürfnissen und Bedingungen der hörenden Welt ausgerichtet. Zu unserem Hilfsangebot gehören persönliche Hilfen:
Darüber hinaus gehören zu unseren Leistungen auch gruppenorientierte Hilfen:
Die Öffentlichkeitsarbeit nimmt ebenfalls einen Teil der Arbeit ein und hat als Ziel den Abbau der Kommunikationsbarrieren in der hörenden Welt, die Schaffung von Kommunikationsbrücken und die Förderung der Integration allgemein. Dazu werden im Einzelnen:
In diesem Zusammenhang möchte ich auch unsere Gebärdensprachkurse im Diözesan-Caritasessverband erwähnen, die Teile unserer Öffentlichkeitsarbeit sind und dazu beitragen sollen, dass immer mehr Menschen in der Lage sind auf gehörlose Menschen einzugehen und Verständnis für deren Situation zu haben.
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Pressemitteilung
Taubheit trennt von den Menschen
Erschienen am:
13.06.2009
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